An manchen Tagen Hurrikan - Gladbachs neuer Liebling Juan 11FREUNDE

Der Gesichtsausdruck ist immer der gleiche. Kurz nachdem einer dieser Schsse, halb Brachialgewalt, halb Kunst, unhaltbar eingeschlagen ist, tritt die Unglubigkeit in die Mimik des Torhters, ein Fragezeichen zwischen Metallpfosten. Das Netz zittert noch. Und es scheint, als wrde das Stadion fr einen Augenblick inne halten, ehe sich das Staunen tausendfach den Weg durch offene

Der Gesichts­aus­druck ist immer der gleiche. Kurz nachdem einer dieser Schüsse, halb Bra­chi­al­ge­walt, halb Kunst, unhaltbar ein­ge­schlagen ist, tritt die Ungläu­big­keit in die Mimik des Tor­hü­ters, ein Fra­ge­zei­chen zwi­schen Metall­pfosten. Das Netz zit­tert noch. Und es scheint, als würde das Sta­dion für einen Augen­blick inne halten, ehe sich das Staunen tau­send­fach den Weg durch offene Münder bahnt. In dieser Sekunde ist der Tor­schütze längst vom Jubel ver­schluckt worden.

Juan Arango schießt keine Tore, er kre­iert Momente, die ein Spiel aus seiner Lethargie reißen, die Domi­nanz des Banalen durch­bre­chen können. Der erste Vene­zo­laner der Glad­ba­cher Bun­des­li­ga­ge­schichte ist ein Spek­ta­kel­fuß­baller, der an guten Tagen in der Lage ist, mit einer ein­zigen Bewe­gung zu ver­zau­bern.

In Glad­bach hat die Magie Arangos längst zu wirken begonnen. Die Stadt liegt ihm zu Füßen, die Fans reißen Schaum­gummi-Meis­ter­schalen in den Himmel und träumen von einem Jahr ohne Abstiegs­sorgen, von einer Saison, in der sich Gegen­wart und Ver­gan­gen­heit dieses Klubs end­lich wieder auf Augen­höhe begegnen können.

Der Beginn einer neuen Ära? Arango lächelt

Und der 29-Jäh­rige lässt sie träumen, baut lächelnd Luft­schlösser. Arango, das hat er selbst gesagt, bei seiner Prä­sen­ta­tion, als er das neue Trikot mit der Nummer 18 in die Kamera hielt, will Glad­bach in eine neue Ära führen. Das klingt grö­ßen­wahn­sinnig. Doch wenn Juan Arango das sagt, lächelnd, meint er das genau so. Es sind die Worte eines Enter­tai­ners, für den der Fuß­ball eine Bühne ist.

Der Show­mann aus der Karibik hat genau drei Spiele gebraucht, um einen ganzen Verein in seinen Bann zu ziehen. In der ersten Runde des DFB-Pokals schal­tete Arango den FSV Frank­furt nahezu im Allein­gang aus. Am Ende standen die Ova­tionen. Arango hatte nicht zuviel ver­spro­chen eine große Show geboten. Das Publikum dankte es ihm mit Stak­kato-Applaus.

Arango aber schien sich in Frank­furt nur warm gespielt zu haben für den Bun­des­liga-Auf­takt in Bochum. Eine Halb­zeit lang über­rollten die Glad­ba­cher den VfL mit Angriffs­fuß­ball, den zuletzt Berti Vogts aus dem eigenen Straf­raum bestaunen durfte. Arango überzog die Bochumer Defen­sive mit Brand­fa­ckel­flanken, erzielte das 1:0 und ser­vierte für die beiden wei­teren Treffer. Mit Flanken, die sie in Glad­bach in den ver­gan­genen Jahren nur vom Hören­sagen kannten.

Nur zwei Treffer von Bochums Aza­ouagh ver­hin­derten die voll­kom­mene Glad­ba­cher Extase. Doch auch sie passten in ihrer Bril­lanz per­fekt zur Dra­ma­turgie des Bun­des­liga-Debüts Arangos. Es waren Tore für die ganz große Show, Tore wie seine.

Für Real Mal­lorca hat Arango in 183 Spielen 46 Treffer erzielt. Viele davon gli­chen sich in ihrer Unnach­ahm­lich­keit. Arango ver­fügt über eine her­aus­ra­gende Schuss­technik, die es ihm, ähn­lich wie bei Lyons Jun­inho, ermög­licht, die Bälle auch aus großer Ent­fer­nung zu nahezu unhalt­baren Geschossen werden zu lassen.

Die Flug­kurve ist dabei oft­mals deckungs­gleich. In Zusam­men­schnitten seiner schönsten Tore schlagen die Bälle immer wieder direkt unter­halb der Quer­latte ein. Gegen Levante traf er so aus 35 Metern. Ansatzlos. Spek­ta­kulär.

Längst sind diese Tore zu seinem Erken­nungs­zei­chen geworden. Doch Arango ist mehr als nur der Mann, der aus der Distanz kommt. Auch seine Flanken sind gezielte Atten­tate auf den Tor­mann, seine Pässe sezieren die gegeneri­schen Abwehr­reihen. Zudem ist er als stür­mender Mit­tel­feld­spieler nur schwer in ein Raster zu zwängen und trotz seiner 1,79 Meter Kör­per­größe ein her­vor­ra­gender Kopf­ball­spieler.

Vor­hang auf. Zau­ber­show.

Das macht ihn nahezu unbe­re­chenbar. Sein Spiel wirkt, als würde es durch einen Zufalls­ge­nerator bestimmt, als wüsste Arango manchmal selbst nicht, was als Nächstes pas­siert. Arango ist ein Genie, für Gegner wie für Mit­spieler glei­cher­maßen unfassbar. Darin liegt seine große Stärke und gleich­zeitig ist diese Genia­lität seine große Schwäche.

An den guten Tagen, wenn Zirkus ist, wenn das Publikum tobt, ist das Sta­dion seine Manege. Vor­hang auf. Zau­ber­show. Dann zeigt Arango, warum sie ihn in Spa­nien den »Hur­rikan der Karibik« genannt haben, pflügt wie manisch über den Platz und erin­nert in seinem spie­le­ri­schen Grö­ßen­wahn an die anderen spleenig Hoch­be­gabten der Bun­des­liga. An Basler oder Jörg Böhme. Dann zieht er Eck­stöße direkt aufs Tor oder ver­sucht, den Tor­hüter von der Mit­tel­linie zu über­lupfen.

In Vene­zuela gilt das Genie Arango dann auch längst als der beste Fuß­baller in der Geschichte des Landes, ist Kapitän der Natio­nal­mann­schaft, ein Volks­held.

Doch wie so oft bei Spie­lern, für die das Sta­dion nur Spiel­platz ist, liegen auch bei Arango Genie und Wahn­sinn unge­sund eng bei­ein­ander. Er gilt als lau­nisch. Als Diva. Und an schlechten Tagen, wenn sich das Staunen gelegt hat, wenn Fuß­ball mehr Arbeit als Spek­takel ist, springt ihn das Phlegma an, und er scheint urplötz­lich die Lust am Spiel ver­loren zu haben.

Dass Arango jetzt mit 29, in einem Alter, in dem Fuß­baller nor­ma­ler­weise den Hoch­sommer ihrer Kar­riere erleben, nicht zu einem großen Verein in Spa­nien, son­dern nach Glad­bach gewech­selt ist, zu einem Klub, der, auch an der mög­li­chen Schwelle zu einer neuen Ära, noch immer von seiner Tra­di­tion zehrt und in der ver­gan­genen Saison nur hauch­dünn dem Abstieg ent­gangen ist, liegt nicht nur, aber eben auch an dieser Men­ta­lität, an seinen per­sön­li­chen Schat­ten­spielen auf dem Rasen.

Bei Real Mal­lorca wirkte er zuletzt oft aus­ge­brannt, spielte nur wider­willig. Die genialen Augen­blicke wurden sel­tener, die schlechten Tage häu­figer. Er sei in ein Loch gefallen, sagen die, die ihn kennen. Weil der hoch ver­schul­dete Verein von der Insel seinem Kapitän nie die ver­spro­chenen Ver­stär­kungen prä­sen­tieren konnte, son­dern statt­dessen sogar seinen kon­ge­nialen Partner, den Spa­nier Daniel Guiza nach Istanbul ver­kauft hatte. Auch des­halb wollte Arango weg, die Insel ver­lassen.

Die Mal­lor­quiner haben ihren Zere­mo­nien­meister, den her­aus­ra­genden Spieler der ver­gan­genen Jahre trotzdem nur wider­willig ziehen lassen. Denn am Ende blieben doch die Meis­ter­werke hängen, die Arango in der Pri­mera Divi­sion auf den Rasen gemalt hat. Diese Momente des Stau­nens. In Glad­bach wissen sie bereits, warum.

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